Praxishilfe
Wenn es mal nicht klappt …
Falls es in der Eingewöhnung Schwierigkeiten gibt, obwohl das Partizipatorische Eingewöhnungsmodell umgesetzt wurde – in der die pädagogische Fachkraft auf die individuellen Bedürfnisse des Eltern-Kind-Paares eingeht und sie feinfühlig begleitet – könnte ein traumatisches Erlebnis des Kindes, des Elternteiles, des Eltern-Kind-Paares oder auch der pädagogischen Fachkraft dafür verantwortlich sein.
Traumatische Erfahrungen der Kinder
Traumatische Ereignisse, die während des Eingewöhnungsprozesses bei Kindern reaktiviert werden, wurden oft in einer vorherigen Transition ausgelöst. Dies könnte ein unverarbeitetes Ereignis sein, das etwa während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder einer frühkindlichen Trennungssituation durch einen Krankenhausaufenthalt, eine Adoption, das Aufgenommenwerden in eine Pflegefamilie und die damit zusammengehörige Trennung von der Ursprungsfamilie ausgelöst wurde. Aber auch eine Trennung der Eltern, der Verlust eines geliebten Menschen oder eine vorherige nicht sensible Eingewöhnung kann als traumatische Erfahrung abgespeichert worden sein. Wenn die begleitenden Erwachsenen diesen Moment der Überforderung beim Kind nicht wahrgenommen und für Abmilderung gesorgt haben, kann es sein, dass das Kind eigene, individuelle Schutzmuster entwickelt hat, um mit diesen Verletzungen umzugehen. Eine Abmilderung kann durch eine intensive, feinfühlige Begleitung, traumatherapeutische Methoden oder auch andere therapeutische Maßnahmen wie eine Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie (SKEPT) bei Kindern unter 4 Jahren oder eine Spieltherapie bei Kindern ab 4 Jahren vollzogen werden.
Tut sich ein Kind während der Eingewöhnungsphase sehr schwer, sich auf die pädagogische Fachkraft einzulassen (während alle anderen Faktoren stimmig sind), könnte dies ein Zeichen für ein traumatisiertes Verhalten sein. Damit das Kind nicht re-traumatisiert wird, braucht es eine besonders intensive Begleitung, in der es sich wirklich gesehen fühlt. Das Kind muss nun dringend die Erfahrung machen, dass es dieses Mal anders läuft, dass seine kindlichen Signale ernst genommen und liebevoll beantwortet werden. Es muss erfahren, dass es nicht noch einmal mit einer überwältigenden Erfahrung allein gelassen wird oder sich damit konfrontiert sieht. Wenn das Kind spürt, dass die eingewöhnende Person seine Not erkennt und sensibel darauf eingeht, seine Gefühle „containt“, sie also richtig wahrnimmt und in besonderer Weise für das Kind ko-reguliert, sodass die Gefühle für das Kind tragbar und bewältigt werden können, kann es sich Stück für Stück auf die Fachkraft einlassen. Es wird sehr wahrscheinlich mehr Zeit dafür brauchen als andere Kinder, und es können auch immer wieder Rückschritte auftauchen. Aber insgesamt wird es sich in seinem Tempo für die neue Erfahrung öffnen. Wenn das nicht der Fall ist, ist das Kind vielleicht noch nicht bereit für eine Fremdbetreuung oder es braucht zusätzlich professionelle Unterstützung. Die pädagogische Fachkraft sollte dann sensibel mit den Eltern über ihre Beobachtungen sprechen. Wenn die Eltern dafür offen sind, kann sie ihnen raten, eine Traumatherapeutin aufzusuchen, die auf Babys und Kleinkinder spezialisiert ist. Ideal wäre es, wenn die Einrichtung ein Netzwerk hat, den Eltern eine Adresse mitgegeben kann oder sogar den Erstkontakt vermittelt. Es ist wichtig, dass die Eltern nicht das Gefühl haben, dass mit ihrem Kind etwas nicht stimmt, sondern dass sie verstehen, dass ihr Kind etwas erlebt haben muss, was es noch nicht verarbeiten konnte und wobei es professionelle Unterstützung braucht – um wieder offen durch die Welt gehen zu können und alte emotionale Blockaden aufzulösen. Oft haben die Eltern selbst auch schon eine Idee, was dies sein könnte. Manchmal löst sich auch schon einiges, indem das Kind sich plötzlich gesehen fühlt mit seinem alten Schmerz und sich erstmalig verstanden fühlt.
Traumatische Erfahrungen der Eltern
Auch bei den Bezugspersonen, die ihr Kind gerade eingewöhnen, können traumatische Ereignisse reaktiviert werden, die stark mit eigenen unverarbeiteten Trennungserfahrungen in Verbindung stehen. Vielleicht hat die Mutter die Geburt als traumatisch erlebt, weil es etwa während der Geburt zu einem Notkaiserschnitt kam und Mutter und Kind nach der Geburt aufgrund von medizinischen Eingriffen voneinander getrennt worden sind. Es bleibt ein Ohnmachtsgefühl zurück: Für die Mutter war es eine traumatische Erfahrung, dass ihr das Kind weggenommen wurde. Es können aber auch ganz alte traumatische Erfahrungen aus der eigenen Kindheit der Bezugsperson reaktiviert werden. Dies könnte ein Krankenhaltsaufenthalt der Mutter sein, die Trennung der Eltern oder das Gefühl, emotional von den Eltern getrennt zu sein, da diese vielleicht für das Kind nicht verfügbar waren, etwa aufgrund einer Depression, oder eigener Fluchterfahrung. Aber auch die eigene Erinnerung an den Start in den Kindergarten ohne Eingewöhnung als Kind kann re-traumatisierend wirken.
All diese Erfahrungen können an die innere Not von damals anknüpfen und die gleichen starken Gefühle reaktivieren, so dass die Bezugsperson im Notmodus ist, und die Eingewöhnungssituation nicht ohne professionelle Hilfe bewältigen kann. Während des Eingewöhnungsprozesses zeigt sich unerwartet das eigene verletzte innere Kind. Das Gefühl, zum Beispiel damals allein gelassen worden zu sein, wird jetzt stark reaktiviert und macht es unmöglich, das eigene Kind zurückzulassen – auch wenn es nun um eine andere Situation geht und das eigene Kind die Trennung wahrscheinlich gar nicht als traumatisch erleben würde, wenn es feinfühlig eingewöhnt wird. Dennoch sind die Gefühle des inneren Kindes des Erwachsenen so stark, dass sie nun vielleicht auf das Kind projiziert werden.
Wenn pädagogische Fachkräfte diese Hintergründe erkennen, können sie besser nachvollziehen, warum es manchen Eltern sehr schwerfällt sich nach den ersten Phasen des gemeinsamen Ankommens und Kennenlernens, langsam und vorsichtig zurückzuziehen. Wenn die Bezugsperson Probleme hat, den Kontakt ihres Kindes zu der pädagogischen Fachkraft zuzulassen, obwohl sie sieht, dass die Erzieherin feinfühlig auf die Bedürfnisse ihres Kindes eingeht und passende Spielangebote macht, kann es gut sein, dass noch ein ungelöstes Trauma der Bezugsperson selbst im Raum steht. Wenn es ihr schwerfällt, den Kontaktaufbau zuzulassen, ist es möglich, dass sie immer dann dazwischen geht, wenn das Kind gerade auf ein Interaktionsangebot der Fachkraft eingehen möchte. Hier ist ein offenes Gespräch mit den Eltern sehr wichtig, um gemeinsam sensibel die Hintergründe ausfindig zu machen und zu schauen, was die Mutter beziehungsweise der Vater bräuchte, um der pädagogischen Fachkraft vertrauen und sich im eigenen Tempo von ihrem Kind lösen zu können. Auch hier sollte darauf geachtet werden, der Bezugsperson viel Verständnis und Empathie entgegenzubringen und nicht das Gefühl zu vermitteln, dass sie das „Problem“ darstellt. Wenn sich die Bezugsperson verstanden fühlt, ist die Chance höher, dass sie sich öffnet und erzählt, welche Erfahrungen gerade in ihr hochkommen und ihr das Loslassen erschweren.
Oft hilft es der Bezugsperson schon, sich über den Zusammenhang bewusst zu werden und eine empathische Reaktion der pädagogischen Fachkraft darauf zu erhalten. Wenn sehr viel aufgebrochen wird, das die pädagogische Fachkraft nicht allein halten kann, wäre eine externe, beispielsweise therapeutische Unterstützung sehr hilfreich, wenn sich die Eltern darauf einlassen können. Dann müssen erst mal eigene Themen geklärt werden, bevor dem Kind während der Eingewöhnung eindeutige Signale geschickt werden können. Während eines solchen Prozesses kann auch herauskommen, dass das Elternteil noch gar nicht bereit für eine Fremdbetreuung ist, auch das ist vollkommen in Ordnung und entlastet alle Beteiligten durch eine Klärung. Schwierig ist es, wenn ein Elternteil dem Kind Double-bind-Botschaften sendet, wie: Ich bringe dich zur Kita, aber eigentlich möchte ich dich gar nicht hierlassen. Das ist für Kinder deshalb schwierig, weil sie fühlen, dass ihre Eltern nicht authentisch sind. Sie merken, dass etwas nicht stimmt und reagieren natürlich darauf. Erst wenn die Eltern wirklich bereit sind, sich für ein paar Stunden von ihrem Kind zu trennen und dabei kein schlechtes Gewissen haben, kann sich auch das Kind bei der Tagesmutter, in der Krippe oder Kita richtig wohlfühlen. Deshalb ist so wichtig, dass Eltern liebevoll hinschauen dürfen, was es ihnen schwer macht und was beispielsweise dieses schlechte Gewissen in ihnen auslöst. Wenn Themen offen angesprochen werden, können sich häufig auch die Gefühle zeigen, die dahinter verborgen lagen. Werden die Gefühle nicht mehr weggedrückt, sondern angenommen und integriert, lösen sich häufig auch die Themen auf und die Eltern spüren eine große Entlastung. Sind die Themen zu groß, um im pädagogischen Alltag aufgefangen werden zu können, empfiehlt sich externe Unterstützung.
Es gibt natürlich auch andere Gründe dafür, wenn Eingewöhnungen nicht gelingen wollen, z.B. weil der Stress bei dem Elternteil (der Arbeitgeber macht Druck) oder der pädagogischen Fachkraft (z.B. aufgrund von zu schlechten Rahmenbedingungen) zu hoch ist und das Kind dadurch spürt, dass etwas nicht stimmt.
Durch Wahrnehmendes Beobachten kann die pädagogische Fachkraft den Eingewöhnungsverlauf sensitiv responsiv (Remsperger 2011) begleiten und auf Situationen zeitnah eingehen, in denen sie erkennt, dass das Kind oder das Elternteil Schwierigkeiten hat, Kontakt zu ihr oder den anderen Kindern aufzunehmen und gegebenenfalls ein traumatisches Ereignis reaktiviert ist. Sie weiß, dass hier besondere Sensibilität und Unterstützung gefragt ist. Falls die Fachkraft merkt, dass sie selbst Unverarbeitetes rund um das Thema Trennung hat, holt sie sich auch selbst Unterstützung – bei einer vertrauten Kollegin, in einem wertschätzenden Team, aber auch durch externe Spezialisten wie einen Supervisor oder einer Traumatherapeutin.
Dieser Artikel wurde im September 2021 veröffentlicht:
Alemzadeh, M. (2021). Die Tränen der Vergangenheit. TPS Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, Traumapädagogik. Heft 9/21. S. 40–43.